Die europäische Wirtschaft befindet sich in einer Rezession. Für die SHW wird das kommende Jahr sehr spannend werden. Wir haben mit Wolfgang Plasser über 2023 reflektiert und über geplante Vorhaben für dieses Jahr gesprochen.
Herr Plasser, das vergangene Jahr war ein sehr herausforderndes für die SHW. Auf welche Highlights – positive als auch negative – blicken Sie zurück?
Besonders erfreulich war für mich, dass es gelungen ist Sebastian Rotermann nach Deutschland zurückzuholen, wo er seit 01. September 2023 als zusätzliches Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der SHW Automotive tätig ist. Er hat mit seiner konsequenten Art in China und Kanada großartige Erfolge erzielt und die beiden Werke in kürzester Zeit saniert und profitabel gemacht. Er kennt das Werk in Bad Schussenried sehr gut und ich bin überzeugt, dass er auch in der neuen Funktion sehr gute Impulse setzen wird.
Dann möchte die hervorragende Entwicklung in der Pulvermetallurgie in Wasseralfingen hervorheben, wo wir den Turnaround geschafft haben. Gratulation an das gesamte Team, das unter der Führung von Anton Hirschmann enorme Fortschritte und hohe Produktivitätsverbesserungen erreicht hat. Ich war vor kurzem im Werk und war sehr beeindruckt, von den erzielten Verbesserungen, der Produktivität, der jetzt vorhandenen Transparenz, der Organisation, der Sauberkeit und vom neuen Spirit der gesamten Mannschaft. Erfolg macht Appetit auf mehr Erfolg. Dieses Niveau gilt es jetzt natürlich auch in den Folgejahren zumindest zu halten, und Schritt für Schritt auch noch weiter zu verbessern.
Besonders herausfordernd war und ist die Situation in Bad Schussenried. Das ist eng verknüpft mit der schwierigen Lage der europäischen Automobil-Zulieferindustrie. Die gesamte Branche kämpft mit Überkapazitäten, zu hohen Kosten (Personal, Energie, Zukaufteile, Zinsen) und mit intensivem Druck von asiatischen Wettbewerbern. Da in Europa die Vor-Corona-Mengen nicht mehr erreicht werden und Marktanteile aufgrund der scharfen Wettbewerbssituation nicht gewonnen werden können, sind Kapazitätsanpassungen unausweichlich, auch bei uns. Gleichzeitig waren wir in den letzten Jahren in einigen Bereichen Bad Schussenried nicht effizient genug. Wir müssen daher sowohl im direkten aber auch im indirekten Bereich die Produktivität deutlich steigern. Aber auch die Beschaffungskosten müssen wir reduzieren. Vorbild sind unsere profitablen ausländischen Standorte in Kanada und China, die zum Beispiel das Vormaterial kostengünstiger einkaufen. Auch unsere Pulvermetallurgie in Wasseralfingen hat eindrucksvoll gezeigt, dass man auch in Deutschland sehr effizient fertigen kann. Wir haben daher, unter der Führung unseres COO Sebastian Rotermann, ein umfangreiches Restrukturierungsprojekt unter dem Namen „Fit für 2025“ gestartet. Ich bin zuversichtlich, dass uns mit Fleiß, Konsequenz und sorgfältiger Arbeit auch da der Turnaround gelingen wird.
Positiv möchte ich noch hervorheben, dass die Entwicklung des Thermal Management Moduls sehr gut voranschreitet und planmäßig läuft. Hier haben Entwicklung, Verkauf, Programmmanagement, Einkauf und IE sehr gut zusammengearbeitet. Sehr gut haben sich auch die Pumpen-Standorte in China und Kanada entwickelt.
Ein weiterer wichtiger Erfolg, war auch, dass es unserem CFO, Herrn Karazmann gemeinsam mit seinem Team gelungen ist, das Refinanzierungspaket der SHW frühzeitig zu verlängern.
Wenig erfreulich war letztes Jahr die Situation im Bremsscheiben-Bereich, wo wir mit der Verbundbremsscheibe zwar ein fantastisches Produkt haben, aber dennoch in eine Art Catastrophic Success geschlittert sind. Die Kombination von vielen neuen Aufträgen, sehr hohen Abrufen, sowie Verzögerungen bei der Lieferung und Inbetriebnahme neuer Anlagen, haben zu enormen Problemen geführt. Im Herbst waren wir bei vielen Kunden in einer Art Engpasssteuerung. Dadurch waren viel zu viele kurzfristige Rüstvorgänge notwendig, was wiederum die Produktivität massiv belastet hat. Hohe Sonderkosten und viele Sondertransporte waren notwendig. Gottseidank konnten wir in den letzten Wochen durch eine Vielzahl an Maßnahmen deutliche Fortschritte erzielen.
Gibt es aus Ihrer Sicht Maßnahmen oder Stellschrauben, an denen die EU oder Deutschland drehen könnte, um irgendwann wieder in Europa einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen?
Zu einem Wettbewerbsvorteil gegenüber asiatischen Produzenten in absehbarer Zeit wird es glaube ich nicht kommen. Die Nachteile am europäischen Markt könnte man aus meiner Sicht durch kluge Politik mildern, wie zum Beispiel beim Thema der Energiekosten: Energie ist für die Herstellung von Gusswerkstoffen oder Metallerzeugnissen im Allgemeinen von wesentlicher Bedeutung. Dabei müsste man aus meiner Sicht den Strompreis vom Gaspreis entkoppeln. Deutschland hat auch eine Diskussion über einen Industriestrompreis gestartet. Das wäre wahrscheinlich gar nicht notwendig, wenn die Energiewende in einem etwas verträglicheren Tempo angestrebt würde. Es ist zu befürchten, dass in Europa durch die notwendigen Investitionen in die Infrastruktur für diese Energiewende, die Preise auch in den nächsten 15 Jahren deutlich höher sein werden als im Rest der Welt, wie in den USA, China oder Indien. Diese Länder setzen die Energiewende langsamer mit mehr Augenmaß um.
In der EU wird zwar versucht, mit dem Carbon-Zoll einen Ausgleich für Produkte aus Ländern mit höheren Emissionen zu schaffen. Aber das ist eine sehr komplexe Regelung und ob diese tatsächlich auch so funktioniert und zumindest mittelfristig greift, bleibt dahingestellt. Jetzt werden viele Investitionen von europäischen Unternehmen außerhalb Europas realisiert. Und diese Werke werden nicht zurückkommen und werden langfristig bei uns fehlen. Meines Erachtens sollte man die Energiewende mit mehr Hausverstand durchführen und nicht so dogmatisch. Europa betreibt derzeit eine Klimapolitik, die uns wirtschaftlich schadet, und dem Klima nicht hilft.
2023 war bei der SHW auch ein Jahr des globalen Austausches: Wie hat das funktioniert? Arbeitet die SHW international noch enger zusammen?
Diese weltweite Kooperation zwischen den Pumpen-Standorten oder Bremsscheiben war sehr eng und sehr gut. Dabei sind die Werke weltweit immer in enger Abstimmung mit dem Headquarter. Durch gute Zusammenarbeit versuchen wir, Probleme an einem Standort mit konzernweitem Know-how zu lösen. In Kanada hatten wir zum Beispiel Probleme, qualifizierte Instandhalter zu bekommen. In Deutschland haben wir ein Programm gestartet, wo wir gut ausgebildete Fachkräfte nach Kanada entsendet haben. Wir konnten damit schon große Erfolge und Produktivitätsfortschritte bei den Montage-Anlagen erzielen. Das internationale Austauschprogramm wird weiter ausgebaut werden.
Ausblick 2024: Was wird uns in der SHW erwarten?
Aktuell bauen wir ein Bremsscheibenwerk in Haimen (China) auf, wo wir im zweiten Quartal mit der Produktion starten möchten. Die ersten Aufträge für namhafte Kunden und für den IAM Markt sind schon in der Pipeline. Ich freue mich schon sehr darauf, wenn die ersten Bremsscheiben vom Band laufen.
Auch wird 2024 die Arbeit am Thermal Modul fortgesetzt. Es sind noch viele Arbeitspakete zu erledigen.
Gleichzeitig bereiten wir uns auf die Fortsetzung der Rezession in Deutschland vor. Ich erwarte, dass es ab dem zweiten Quartal zu einer weiteren Korrektur nach unten kommt.
Besonders intensiv müssen wir uns mit der europäischen Supply Chain, mit unseren Lieferanten auseinandersetzen und Produkte mit einem hohen Energiekostenanteil verlagern.
Also es wird auch 2024 viel zu tun geben.
In der Automotive-Industrie stehen in den nächsten Jahren sicher einige Herausforderungen an. Die SHW setzt jedoch weiterhin auf den Ausbau der Ausbildungsplätze und die Steigerung der Azubi-Zahlen. Warum sollte man sich als junger Mensch entscheiden, in so einer Branche die Ausbildung zu starten?
Ob Verbrennungsmotor, Elektrofahrzeug oder andere Antriebsarten: Mobilität ist seit jeher ein Grundbedürfnis der Menschheit, Mobilität wird es immer geben. Daher ist diese Branche aus meiner Sicht nicht nur sehr interessant und zukunftsorientiert, sondern auch eine Branche mit einer Vielzahl an Berufsmöglichkeiten: Vom Zerspanungsmechaniker über den Konstrukteur bis hin zum Mitarbeiter im Bereich Forschung und Entwicklung oder Mechatronik – die Automobilindustrie bleibt auch in Zukunft ein guter Arbeitgeber.
Innerhalb des Konzerns bieten wir sehr gute Karrierechancen, nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Alles in allem kann man sagen, dass die SHW auch das Unternehmen der nahezu unbegrenzten Berufsmöglichkeiten ist – und auch in Zukunft bleiben wird.
Nun sind wir am Ende von unserem Gespräch angelangt. Herr Plasser, haben Sie noch abschließende Worte für 2024?
Die Situation ist aufgrund verschiedener Umstände sicher nicht einfach. Dennoch bin ich überzeugt, dass wir bei der SHW die Herausforderungen der nächsten Jahre sehr gut meistern werden, wenn wir uns anstrengen und klug vorgehen. Das schaffen wir aber nur gemeinsam. Jeder Mitarbeiter muss seine Aufgaben sorgfältig machen und im Team an einem Strang ziehen. Wir haben tolle Produkte und ein enormes Know-how bei der SHW. Mobilität wird es immer geben. Wie sie sich verändert, werden wir nicht nur miterleben, sondern auch mitgestalten.